Mitten im Waldgebiet ist die Gemeinde fast völlig waldarm. Fremde sind Herr und Gebieter im Wald und der kleine Mann ist froh, wenn er ohne Scherereien seinen Sack voll Gras oder Laub aus dem Wald heimbringen kann. Manche Äcker sind aufgewühlt wie bei einem Bergwerk von den nimmersatten Wildschweinen, dem gefährlichen Raubzeug, das oft die schönsten Erwartungen des Landmanns zertritt. Diese Unholde halten mitten im Kartoffelacker oder Roggenfeld ihre nächtlichen Zusammenkünfte ab. Da müßte ein Samson kommen um diese wilden Rudel zu vertreiben. Einmal sollen diese Borstentiere ein Auto bedroht haben, weil dessen Insassen mit Stutzen und Patronen aus dem Rheintal kamen. Erst ein tiefer Schluck aus der Cognakflasche gab den Jägern Mut das Abenteuer zu bestehen. Da ist wahrlich vergnüglicher ohne Rohr und Pulverhorn Sport zu treiben, Schlitten zu fahren oder Ski zu laufen über das glasglatte Eis, wie die liebe Dorfjugend es meisterhaft versteht. Da glühen die Wangen vor Eifer, Eile und Erregung, weil einer den andern überholen will. So glüht und flammt es weitum am Horizont, als ob trotz der Winterkälte gegen Abend die Craticula d.h. der Rost des hl. Laurentius in den Wolken lohte. Dunkel hebt sich dann der Kirchturm vom abendlichen Himmel ab und die Friedhoflinden scheinen in der eisigen Dezemberluft zu glühen wie ein brennender Dornbusch. Bei solchem Anblick hätte der gedankentiefe Dostojewski vielleicht den Boden geküßt; denn etwas Heiliges war ihm die Mutter Erde.
Unvergeßlich bleibt mir Pater Johannes HAW, der Gründer der Johannisburg in Leutesdorf am Rhein. Dort hörten wir Februar 1931 zum ersten Mal eine Radiobotschaft aus Rom. Es war ein kleiner Kreis von Geistlichen versammelt um den Direktor des Hauses, in guter Stimmung bei Kaffee und Kuchen. Heiter und angeregt waren wir alle, obwohl Vino Birra Liquore und ähnliches durchaus fehlten. Dieser geistliche Moselaner schob mit väterlichen Worten jedem Gast selber ein Stück Kuchen auf den Teller. Wohl war er kein Redner, sondern hatte wie Moses eine schwere Zunge, aber alles war so lieb und herzlich gemeint von ihm, daß man immer wieder gerne in Leutesdorf abstieg. Das Werk dieses einfachen bescheidenen Priesters lebt weiter. Wie hätte er sich gefreut, wenn er die jüngsten Fatima-Feiern rheinauf und rheinab selber erlebt und gesehen hätte. Während er selbst ganz zurücktrat, waren es immer Maria und Joseph und der Nothelfer Thaddäus, die sein Werk erfolgreich gestalteten.
Müd und spät kommt der Fuhrmann bergauf gefahren, nachdem er sich im Wispertal auf seine Weise gestärkt und gelabt hat: gern sitzt er im Halbschlummer auf dem Wagen, denn die Pferde wissen den Weg von selber.
Manch Rößlein stand im Wispertal
Wohl Hundertmal, und tausendmal
der Fuhrmann rechnet: soll ich!
zu früh daheim wär drollig.
Bei Durst und Dämmerung kehrt er ein
hier wärmt er sich bei Bier und Wein
und manchmal auch beim Kartenspiel
im Eckchen ruht der Peitschenstiel.
Das Wasser wird hier nicht genannt,
das böse Wort ist weit verbannt.
Noch lange bleiben sie vereint,
bis draußen hoch der Vollmond scheint.
Befeuchtet von Gemütlichkeit
fliegt schnell vorüber hier die Zeit
wenn so der Gaumen ist gelabt
das muntre Rößlein waldwärts trabt.
Nach Presberg, Ransel, Wollmerschied
fährt man mit Peitschenknall und Lied
die Wisper leis am Ufer leckt
indes der Mond die Wolken neckt.
Nun sind die Fuhrleute aber nicht gänzlich wasserscheu, sondern immerhin genießen sie das Wasser auch in der Suppe oder dem Kaffee. Mancher mußte im Wispertal sich Mut antrinken vor der gefährlichen Fahrt in die Berge, wo plötzlich der heisere Eulenschrei zu hören ist oder die Waldhexe Pankratzia ihr Unwesen treibt. Wenn ihr rotes Haar in der Dunkelheit schimmert, so möchte mancher beherzte Heinz, Hannes, Kunz oder Hubert schleunigst Kehrt machen und zurücklaufen ins Wispertal, wo die Weingläser klingen. Denn Vorsicht ist besser wie Verwegenheit.
Aber wie traulich und gemütlich ist es an langen Winterabenden auf der Ofenbank, wenn die Familie im warmen Nestchen beisammen ist.
Da wird die Vergangenheit lebendig, bis zum Meister Herzog und bis zum Napoleon. Aber wenn die Hähne krähn, wird das Bergvölkchen wieder munter; beim Wasserholen will jeder der erste sein am Ziehbrunnen. Heutzutage ist der Wassermangel glücklicherweise behoben durch eine gut funktionierende Wasserleitung von der Hallgarter Zange. Auch das elektrische Licht hat den Weg zu uns gefunden. Und so ist denn seit Jahren das Bergdörfchen meine Wahlheimat geworden. Freilich hielt man mir schon entgegen, daß ich dadurch einen schlechten Geschmack bekundet hätte. Was bei diesen Larifari-Christen, bei Wilddieben und Holzfrevlern will es Dir gefallen? bei solchen Schriftgelehrten und Phari...? Aber all’ diesen Stimmen hielt ich entgegen, daß die Leute drunten im Tale sicher nicht besser sind. Zudem bin ich durchaus nicht der Liebling hier oben, im Gegenteil. Des öfteren drohte mir schon die Verbannung durch Ostracismus (altathenisches Volksgericht)\; besonders damals als die Simijaken (von Simiae = Affen) beim Kirchbau auf den verkehrten Renner gesetzt hatten. Damals stand ich sozusagen in einer kreisrunden Front, als ich dringend vor der drohenden Pfuscherarbeit warnte. Man hätte meinen können, Schilda läge im Rheingau, als unberufene Ratgeber und Ratschläger sich einmengten, bis dann schließlich nicht die alte, sondern die neu begonnene Kirchenmauer ins Rutschen kam. Das ganze Dörfchen simmte und summte wie ein Bienenkorb, jeder konnte ratschlagen oder Rad schlagen wie auf der KÖ zu Düsseldorf! um nicht Ungereimtes zu sagen:
Meckern macht die Menschen dreister
aber kommt der Bau zum Bruch,
hat man bald davon genug, -
Pfuscher ist noch lang kein Meister.
Trotzdem gefällt es mir ganz gut hier oben in dem sonnigen waldumrauschten Luftkurdörfchen, das für manchen in den harten hungrigen Kriegsjahren wie ein U-Boot-Stützpunkt wirkte... Denn die Bewohner dieses rheinischen Tibidabo sind nicht geizig und teilen gern von ihrem Überflusse mit. Besonders bei den Holzschlägern gab und gibt es biedere treue Männer. Wenn mir auch noch keine Diplomholzarbeiter begegnet sind wie z.B. Diplomlandwirte oder ähnliche Diplomierte, so verdienen sie doch nicht übersehen oder vergessen zu werden. An einen denke ich oft und dankbar zurück, wenn er auch nicht motorisiert war, aber mit 80 Jahren verstand er es noch auf seinen Kirschbäumen herumzuklettern, so elastisch war sein Greisenalter geblieben. Im Winter 1947 feierte er den 80. Geburtstag. Der Sender Waldesrauschen und die Stimme der Wisperhöhe nahmen gebührend davon Kenntnis im folgenden Festspruch:
Gepriesen sei der Februar,
der uns den Peter brachte!
Das war genau vor 80 Jahr,
die Wanduhr tickte sachte....
Noch gab es keinen Bombenfall,
nicht Volkssturm oder Reichsmarschall;
Man hörte weder Hitler-Heil!
noch der Sirenen wild Geheul --
Kein Schmetterling, kein Amselschlag
begrüßte seinen ersten Tag
Als PETER strampelte und schrie;
Beim Brunnen sprachen er und sie
Und in den Stuben sie und er,
Wie PETERCHEN so goldig wär‘,
Seit Pfarrer RORGER seiner Seel
Hatt' abgewaschen Sünd und Fehl.
Der Rückblick Macht ihm heut Vergnügen
Drum raucht Herr Strieht mit vollen Zügen
Und denkt der guten alten Zeit
Und schiebt ins Feuer Scheit um Scheit.
Klein-PETER streckte sich und wuchs
An Gliedern und Gelenken,
Bald warf er ab die Falltür-Bux
Und rutschte auf den Bänken,
Wo man mit Griffeln Kratzte
Und rechnete und schwatzte,
Bis dass Herr Lehrer HORN.
den Riemen schwang im Zorn.
Mit Weihrauchfass und Schell‘
Verstand der PETER schnell
Beim Ministrieren um zu gehen,
Sich zu verneigen und zu drehen;
Doch bracht‘ er beim Confiteor
Oft brüchiges Latein hervor -
Entlassen aus der Volks-Schul-Haft
Im grünen Reich der PETER schafft,
Wo Feuerchen im Freien glimmen
Und in dem Bach Forellen schwimmen.
Auch liebte er den Frieden sehr,
Drum trug er nie ein Schießgewehr
Er war nicht arm und war nicht reich -
Und schluchzte nie zur Zither weich;
Der Lebens-Mai, so lieb und warm,
Sah ihn mit TINA Arm in Arm;
Im Lorenz-Tempel Beide sagen
Ein strammes Ja! auf Pfarrers Fragen. -
Im Gärtchen mit den Stangenbohnen,
Da wollten sie beisammen wohnen.
Doch bald entwarf man, einen Plan
Und PETER fing zu bauen an
Er holte Steine aus dem Bruch
Und GOTT walt‘s war sein Arbeits-Spruch.
Das Haus stand in der Engel Schutz
Und bot im Krieg ,den Bomben Trutz
Wie eine PETERSBURG so stark,
denn guter Mörtel war sein Mark.
Weil PETER denkt und wenig spricht
Behält er stets das Gleichgewicht
Sein Schaffen gilt der Fräulein STRIETH,
Die nicht mehr nach der Kurstadt zieht.
Die Lebensuhr gemächlich tickt
Herr STRIETH die Achtzig überblickt
Wie 80 weingefüllte Kannen,
Wie 80 grüne Weihnachtstannen;
Ein Knistern war‘s von 80 Kerzen,
Ein Schnee-Geschmelz in 80 Märzen;
Und 80 mal der Kerwebaum
Ward von der Jugend aufgestellt
Das zog vorbei wie dünner Schaum. - -
Der HANNES aus der andern Welt‘
Winkt, wo die Engel SANCTUS rufen:
Es gilt auf 80 steilen Stufen
Zur Himmels-Heimat aufzusteigen,
0 Ewigkeit 0 Waldes-Schweigen!
Kein schwarzer Markt, kein Pferdehandel
befleckte seinen Lebenswandel;
Wohl blütenweiss wie Weizenmehl
Bewahrte PETER seine Seel;
Drum nimmt ihn auf nach ,Sturm und Wetter
Sankt PETRUS einst, sein Namensvetter
Dem lieben Herrn PETER STRIETH zu seinem Eintritt ins Patriarchenalter widmet die 80 Geburtstagsreime:
mit Glückwunsch und MARlA siegt!
MONTEPRESO 11. im Lichtmessmonat
19 K+M+B 47
Jedermann hat ihn gern im Dorf\ ein Troß von Kindern aus der ganzen Nachbarschaft lief ihm nach, wenn er zum Stall oder zum Garten ging; denn man fühlte sich wohl in seiner Nähe. Sein Haus, das er vor dem 1. Weltkrieg gebaut, die sog. Petersburg, steht heute noch fest und hat allen Jabo’s und Tieffliegern standgehalten. Einige Tage vor dem Einmarsch der Amerikaner 1945 wurde in seinem Eigenheim das goldene Ehejubiläum gefeiert, an welchem die ausgedehnte Verwandtschaft und die ganze Gemeinde freudig Anteil nahm. Sommer wie Winter besuchte er früh morgens die Kirche um sich Gottes Segen für die Arbeit zu sichern. Nach kurzer Krankheit starb er am Agnestag 1949. Ein reifes reiches Leben, randgefüllt mit Arbeit und Mühe fand damit seinen Abschluß. In Gottes Namen! Mit diesem Wort pflegte er sein rauhes Tagwerk zu beginnen. Was die Presse und die Politik brachten, interessierte ihn so wenig wie der Inhalt des Generalanzeigers von Honolulu, weil er die innere Ruhe und das Gleichgewicht der Seele besaß ähnlich wie St. Joseph, der einfache Zimmermann von Nazareth, den er kindlich verehrte. Montepreso ist doch so kein übles Fleckchen Erde, wo solche Bergblumen wachsen, solche Waldkinder leben, sehnig und stark, bald Sonne, bald Sturmwind und Regen im Antlitz, doch allzeit offen dem Lächeln der Gnade von Oben. Darum steht auch die Gnadenmutter von Marienthal bei den Wäldlern seit Jahrhunderten in hohem Ansehen. Man pilgert gern zu ihr hin, sei nun der Anlaß freudiger oder trauriger Art, wie bei Sterbefällen. Auch die Ritter aus dem Biedermeier-Gau ritten gern in das andächtige enge Tälchen, schon lange vor der Motoren-Ära, zumal in der Österlichen Zeit. Und wie oft geschah es dann auf dem Heimweg, daß der Ritter mit dem rötlich schimmernden Nasenrücken seinem Rößlein zärtlich die Mähne streichelte und ihm zuflüsterte: „Braves Pferdchen! Nun darfst Du leicht dahintraben, weil wir eine schwere Last abgeworfen haben!“
Neuerdings vergeht kein Tag im Sommer, wo nicht die großen, dicht besetzten Busse singend und betend in Marienthal landen; dann wählen viele auf der Heimfahrt den Weg über Montepreso, weil hier oben die durchsonnte Waldluft und der herrliche Rundblick zum Verweilen lädt.
Mein Presberg war nie flach und platt
und streckt sich steil nach oben
wer hier zuerst gesiedelt hat,
verdient, daß wir ihn loben
Wohl war er etwas menschenscheu
und hielt nichts von den Reben,
doch dacht' er sicher "Hoch und frei
ist eine Lust zu leben".
Tritt wild der Rhein aus seinem Bett,
dann läuten Sturm die Glocken,
doch droben auf dem Berg, ich wett,
zu Presberg wohnt man trocken.
Und was kein Hegemeister weiß,
oft ward ein Reh gebraten,
das nennt man hier die "braune Geiß",
mehr will ich nicht verraten
Und Schlehdorn, Ginster, Heidekraut,
gedeihen hier am besten.
Kratikeln, ja ich sing es laut,
speist man an hohen Festen.
Zerreißt der Rhein auch jeden Damm
und wäscht die schwersten Fässer,
geschützt gen Flut und jeden Schlamm-
zu Presberg wohnt man besser.
Hier gibt es keine Winzersnot
und keine Riesenkeller,
der Bergwind färbt die Backen rot,
man liebt hier volle Teller.
Wer fleißig bei der Treibjagd hetzt,
kann Groschen sich erwerben.
Am Brunnen wird oft lang geschwätzt
und endlos sind die Kerben
Beim Kornschnitt drauß Sankt Lorenz heizt
wo golden stehn die Halme,
der Römer mit dem Regen geizt
und winkt nur mit der Palme.
Doch wenn von seinem heißen Rost
ein Blitz fällt mit Gewittern,
Bekreuzge Dich und sei getrost,
wenn nicht die Eichen splittern.
Das ist die Presberger Heimathymne, die Ferdinand M. Benl in Fritzlar als opus 111 vertont hat. Sie gehört zum Dörfchen, weil man hier oben gerne singt, und ebenso gerne trinkt, damit das Gold in den Kehlen der Sänger nicht rostet. Manches hat sich geändert im Waldgau nach Weltkrieg, Inflation, Revolution und wieder Weltkrieg. Landräte kamen ins Dorf und gingen, einer derselben war früher Corps-Student wie der große Wilhelm Emanuel von Mainz, der aber ohne Einglas lieber Wasser trank wie Wein. Pfarrer, Lehrer, Bürgermeister wechselten im Lauf der Jahre und Jahrzehnte. Hier oben liebt man den Wechsel. Ein Bürgermeister glich durch Bart und Fülle einem Capuzinerpater, sein Nachfolger war glatt rasiert. Auch stimmliche Unterschiede waren nicht selten. Einer der letzten war der geborene Lautsprecher, der mit dem gleichzeitigen Pfarrer darin wetteifern konnte. Beide standen in ihren stimmkräftigen Leistungen dem Grafen Mirabeau nicht nach, und es wäre schreiendes Unrecht dies zu leugnens
Ein Landrat aus der Trümmer-Ära war hoch gewachsen wie Saul, der das übrige Volk um Schulterhöhe überragte und redete mit Wucht und Würde wie
Nahum, der kleine Prophet, der einst die Niniveten erschütterte in durstigen Tagen. Dann wieder folgte ein Pfarrer, dessen Kanzelwort von schleimiger veronaler Wirkung war, so daß die Kirchenbesucherinnen ihm nickenden Beifall spendeten, während die Männer auf der Bühne sich in aller Ruhe innerlich betrachteten, sanft angerührt vom Sandmännchen, im Weltkrieg war er sogar Gefreiter; erstammte aus Bassano oder aus Bassa, um mit Don Camillo zu reden, wo die gelehrte Blabla unermüdlich ist.
Im Waldgau ward es still,
seitdem Herr Tin und Kil
hier oben ihre Flinten trugen
und Cognak schlürften bei den Buchen.
Sie liebten mehr das Halali
als wie die Meßgesänge,
die frohe Botschaft störte sie
sowie des Kirchleins Enge.